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Fotos von Florian Ulrich


Salon in voller Länge





Für den 19. Politischen Salon konnten wir den renommierten Hochschullehrer und Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Prof. Dr. Peter Bofinger gewinnen.


Thema des Salons: Alternativlose Wirtschaftspolitik?! Keynes neu entdecken

Bofinger: „In meinem Privatleben bin ich ein sehr flexibler Mensch. Als Ökonom ist es aber wichtig, dass man bestimmte Positionen rüberbringt. Die Kompromisse macht die Politik schon selber.”

Ein Bericht von Michael Ackermann

Am 29.06.2016 fand der 19. politische Salon mit einem der fünf Wirtschaftsweisen, Prof. Dr. Peter Bofinger, unter dem Motto „Alternativlose Wirtschaftspolitik?! Keynes neu entdecken!“ statt.
Bei einem fabelhaften Wetter wurden Fragen rund um das wirtschaftstheoretische Modell von John M. Keynes und dessen heutige Relevanz in der modernen Wirtschaftspolitik diskutiert und hinterfragt.

Nach der Begrüßung durch die Schulleiterin Heidi Höreth-Müller leitete Jörg Couturier das Thema des Abends ein. Bemängelt wurden die wenigen Möglichkeiten wirtschaftspolitische Themen im PoWi-Unterricht zu behandeln, vor allem in Anbetracht der Möglichkeit das Fach zur 12. Klasse hin abzuwählen. So sollte dieser politische Salon als optimale Erweiterung zum Unterricht dienen. Das Thema des Politischen Salons knüpfte an das Hauptthema der Salons im Jahre 2013, der Staatsschuldenkrise, an. Leider ist die Sinnkrise der EU in Anbetracht des Brexit-Referendums nach wie vor nicht überwunden und die Frage nach der Zukunft der Währungsunion bleibt offen.

Peter Bofinger, 1954 geboren, studierte Volkswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken. Seit 1992 bekleidet er den Lehrstuhl für Volkswirtschaften an der Universität Würzburg. Im März 2004 ist er in den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den sogenannten fünf Wirtschaftsweisen, berufen worden.

In einem sehr unterhaltsamen Vortrag porträtiert Peter Bofinger den britischen Ökonomen Keynes zunächst als Revolutionär der damaligen Wirtschaftswissenschaften in den 1930ern. Dieser widerlegte die damals vorherrschende Meinung, dass das Wirtschaftssystem komplett in der Lage sei, sich autonom selbst zu regenerieren. Ausgehend von dem Gleichnis eines Organismus brachte Bofinger dem Publikum näher, warum diese selbststabilisierenden Mechanismen nicht in der Lage seien, ab einem gewissen Grad überhaupt zu greifen.
So gebe man beispielsweise einem kranken Menschen Antibiotika, damit er gesund werde. Dies lasse sich auch auf das Wirtschaftssystem beziehen; wenn z.B. aufgrund einer Krise die Nachfrage schwächelt, so müsse man von außen, durch den Staat, der Wirtschaft durch verschiedene Maßnahmen aufhelfen, damit diese wieder ihre Selbstregulierungsmechanismen „in Schwung bringen kann“.



Das Ausgangsproblem sei das Sparen, sprich das reine „weniger konsumieren, als bisher“. Wo man früher, vor Keynes, davon ausging, dass Sparen die Zinsen runterdrücke und so die Investitionen ankurbele, wurde durch Keynes aufgezeigt, dass es eigentlich das Sparen ist, das die Wurzel allen Übels ist, denn durch das Sparen falle die Nachfrage weg, was zu einer unausgeglichenen Vermögensverteilung führt. Prof. Dr. Bofinger führte dies am Beispiel eines italienischen Restaurants an: wenn man am Abend im Restaurant speist, sichert man dem Wirte die Einnahmen und dieser kann die Arbeitsplätze seiner Angestellten absichern. Wenn man jedoch plötzlich beschließt, man will sparen und geht nicht mehr hin, fallen dem Wirt diese Ausgaben weg, die Angestellten werden gekündigt und in einer Abwärtsspirale sinkt die Massenkaufkraft und damit die Stärke des Wirtschaftssystems.
Falls der Staat dann zusätzlich zu den Bürgerinnen und Bürgern beschließt zu sparen, bedeutet das weniger Steuereinnahmen und eine weiter abschwächende Wirtschaft.
Wirtschaftssysteme haben die Tendenz instabil zu sein, also solle der Staat eingreifen um Krisen, wie beispielsweise der Weltwirtschaftskrise 1929 entgegenzuwirken.


Nach der theoretischen Einführung ging der Wirtschaftsweise Bofinger auf die Umsetzung der „keynesianischen Idee“ in der heutigen Wirtschaftspolitik ein. Deutschland sei mit seinem Wirtschaftsmodell im internationalen Vergleich sehr eigen, da die Probleme, die Keynes damals thematisierte, hier ignoriert werden würden, weswegen Strukturreformen notwendig seien. Als drei Hauptkritikpunkte sprach er die schwachen Gewerkschaften hierzulande und die Kritik des Finanzministers Schäuble an Mario Draghis (Direktor der EZB) Leitzinspolitik sowie die Behauptung, die Fiskalpolitik regele alles.
In den meisten anderen Ländern funktioniere die Wirtschaftspolitik problemlos, allen voran China, wo kontinuierlich „der Staat der Wirtschaft helfe“ und so ein „Keynes-Vorzeigeland“ sei. Die Austeritätspolitik, das Sparen, begünstige auch verstärkt die ungleiche Vermögensverteilung, da wohlhabende Haushalte sparen und einkommensarme Haushalte nicht genügend Geld haben, das ausgegeben werden könnte. Da als Folge die Unternehmen weniger investieren, „können Autos keine Autos kaufen“, denn wenn niemand kauft, wird auch nicht produziert.

Es folgte eine angeregte Diskussion zuerst zwischen Herrn Bofinger sowie den Moderatoren Jörg Couturier und Stefan Trier, danach mit dem Publikum.
Über Bofingers Einzelstellung im „antikeyensianischen“ Rat der Wirtschaftsweisen und dessen Bedeutung dort, ging die Diskussion hin zu dem Problem des nach wie vor nicht steigenden Leitzinses der EZB und der nur sehr moderaten Lohnentwicklung in Deutschland, was Bofinger auf die „timiden Gewerkschaften“ und das Defizit von 10% in der Lohnsteigerung der letzten Jahre zurückführt. So sei Frankreich nach wie vor ein Vorbild, was die Lohnentwicklung anbetrifft. Auch der Brexit mit seinen Folgen wurde Thema: Großbritannien solle bleiben, denn bei einem Austritt hätten sie mit großen Problemen zu kämpfen, es würde jedoch auch ein gutes Negativbeispiel für andere an der europäischen Idee zweifelnden Mitgliedsstaaten abliefern. Im Laufe der Diskussion wurde neben dem Ausweichen auf alternative Wirtschaftsmodelle, TTIP, der Vergleich mit Japans und Chinas Wirtschaftspolitik auch die Frage über die Sinnhaftigkeit und Hintergründe aktueller wirtschaftspolitischer Maßnahmen in Deutschland und Europa Thema.

Nach anderthalb Stunden mit einem mitreißenden Professor und dem dazu passenden begeisterten Publikum, klang der Abend bei Sekt und Schnittchen gemütlich aus.
So ging ein weiterer erfolgreicher politischer Salon zu Ende, der bald auf Video nachverfolgt werden kann. Ein Dankeschön hier gilt der Film-AG von Herrn Huth und Herrn Pawlowski sowie den engagierten Schülerinnen und Schülern der AG.


WebCo, 24.06.2016