Der Anzug ist alles andere als zeitgemäß.
Weniger freundlich ausgedrückt: er ist extrem häßlich. Braun, altertümlich
und abgetragen. Trotzdem hat sich Thomas Sturmfels in ihn hineingezwängt.
Doch nicht etwa nostalgische Gründe haben den an der Dreieichschule
tätigen Lehrer bewogen, sich derart in - nun ja - "Schale zu werfen".
Vielmehr stellt der alte Tanzstundenanzug des Pädagogen - um nichts
anderes handelt es sich nämlich bei diesem etwas eigentümlichen Kleidungsstück
- den ,,roten Faden" einer Ausstellung dar, die am Mittwoch anläßlich
des 2Ojährigen Bestehens der "theater-ig" der Dreieichschule eröffnet
wurde.
Das "kleine Braune" spielte nämlich in gut der Hälfte der Produktionen
dieser Schüler-Theatergruppe eine "getragene Rolle".
Es war 1979, als Sturmfels an das Langener Gymnasium kam. Seine
Aufgabe: Sport und Biologie zu unterrichten. Seine tatsächliche Leidenschaft:
die Schauspielerei. "Ich hatte bis dahin schon in der Theatergruppe
meiner eigenen Schule und im Schauspiel-Studio der damaligen TH Darmstadt
agiert", erinnert sich der 48jährige. Folglich war das erste, was er
wissen wollte als er in die Sterzbachstadt versetzt wurde, ob an der
Dreieichschule auch eine Theatergruppe existieren würde.
Als dies verneint wurde, hob er kurzerhand ein eigenes Ensemble, die
"theater-ig" eben, aus der, laufe, dem sich sofort 14 Schüler anschlossen.
Die erste Produktion trug den Namen "Die Katze war an allem schuld"
und wurde anläßlich des Schulfestes im Jahr 1979 aufgeführt. In welch
bescheidenem Rahmen damals agiert wurde, läßt sich daran erkennen, daß
das "herzzerreißende Ritter-Trauer-Schauer-Spiel in drei Akten" als
solches wurde es angekündigt im Vorraum vor der jetzigen Cafeteria über
die Bühne ging. Sicherlich kein adäquates Ambiente für ambitionierte
Akteure.
Folglich wurden im Jahr darauf zwei andere Aufführungsorte hinsichtlich
ihrer Eignung für ,,großes Theater im kleinen Rahmen" getestet: der
Musiksaal und die Turnhalle des Gymnasiums. Doch auch diese beiden wiesen
unbestreitbare Nachteile auf. Der Bühne im Musiksaal, wo Bertolt Brechts
"Die Kleinbürgerhochzeit" gegeben wurde, fehlte nämlich ein Treppenaufgang,
während in der Turnhalle, in der anläßlich des, 8Oer-Schulfestes Szenen
zum Thema "Liebe" gespielt wurden, die Akustik miserabel war und heute
auch noch ist. "Da haben lediglich die Leute in den vorderen beiden
Reihen etwas verstanden", erinnert sich der Gründer der "theater-ig"
nur mit Grausen an dieses Fiasko. Klar, daß dieser Premiere keine weiteren
Aufführungen in der Turnhalle folgten.
Zur "Trendwende" -
was die Qualität des Aufführungsortes anbelangt - kam es dann ein Jahr
später, als erstmals die Stadthalle unentgeltlich genutzt werden konnte.
Die Resonanz auf die zwei dortigen Aufführungen machte denn auch deutlich,
daß der Schritt raus aus dem Schulgebäude wohl überfällig gewesen war.
Der Langener Musentempel war nämlich mit jeweils über 400 Zuschauern
bestens gefüllt.
Verantwortlich für diesen enormen Zuspruch dürfte indes nicht nur die
bis dato ungewohnte Lokalität, sondern auch das aufgeführte Stück gewesen
sein- "Hexenjagd" von Arthur Miller. Daß ausgerechnet dieses Werk gespielt
werden sollte, hatte bei Sturmfels im Vorhinein allerdings für einige
Bauchschmerzen gesorgt.
"Ich hielt den Stoff für zu schwierig", rekapituliert der bei allen
Aufführungen der letzten 20 Jahre für die Regie verantwortliche Pädagoge.
Doch seine Schüler belehrten ihn eines Besseren. Wahrscheinlich auch
deshalb, weil sich die intensive Probenarbeit bezahlt machte. Während
am Anfang eines jeden Projektes, das dann zum Schuljahresende aufgeführt
wird, einmal die Woche etwa zwei Stunden geprobt wird, stehen in der
Endphase mehrere "Marathonproben" von bis zu fünf Stunden Länge auf
dem Programm. Und so bezeichnet Sturmfels die "Hexenjagd" in der etwas
verklärten Rückschau als "den besten Auftritt, den wir je hatten".
Die Entscheidung, welches
Bühnenwerk einstudiert werden soll, wird im übrigen ganz demokratisch
im großen Kreis getroffen. ,Wir erstellen gemeinsam eine Liste geeigneter
Stücke und stimmen dann darüber ab', beschreibt Sturmfels die Vorgehensweise,
die bislang zumeist ohne größere Probleme abgelaufen ist. Seine Autorität
als Lehrer würde er, sagt Sturmfels, nur dann einsetzen, wenn die Wahl
auf ein Boulevard-Stück fallen würde. Der Grund - ,Auch wenn diese zum
Teil sehr schwer zu spielen sind, muß doch ein gewisser Anspruch gewahrt
bleiben.'
Daß dies bislang der Fall gewesen ist, macht ein Blick auf die Liste
der Aufführungen deutlich Denn dort finden sich die Werke einer ganzen
Reihe höchst renommierter Autoren: Shakespeares "Ein Sommernachtstraum"
den die "theater-ig" 1984 verarbeitete, zählt ebenso dazu wie Zuckmayers
"Der Rattenfänger" (1986), "Lysistrata" von Aristophanes (1989), Erich
Kästners "Schule der Diktatoren" (1995) oder Dürrenmatts ,Romulus der
Große', das im vergangenen Jahr aufgeführt wurde.
Allein an dieser Aufzählung wird die Handbreite der Werke deutlich,
die in den letzten Jahren über die Bühne der Stadthalle gingen. In der
Mehrzahl hat es sich dabei um Komödien gehandelt, auch wenn es Sturmfels'
Traum ist, einmal eine antike Tragödie mit den Mitgliedern der "theater-ig"
einzustudieren. Dies realisieren zu können, hält er allerdings für schlicht
unmöglich: ,Ein solches Stück findet bei den Schülern mit Sicherheit
nicht den nötigen Anklang.'
Trübsal bläst der engagierte
Hobby-Mime deswegen allerdings nicht. Wieso auch? Schließlich haben
in den vergangenen 20 Jahren etwa 235 Dreieichschüler unter Sturmfels'
Aufsicht gelernt, was es heißt, auf den Brettern zu stehen, die angeblich
die Welt bedeuten. Und scheinbar haben sie ihre Lektionen gut gelernt,
denn größere Pannen sind in all den Jahren ausgeblieben. "Die jungen
Darsteller haben kleinere Hänger immer so geschickt überspielt, daß
es dem Publikum gar nicht aufgefallen ist", lobt Sturmfels den Langener
Schauspiel-Nachwuchs.
Für ein erfolgreiches Wirken
auf der Bühne gibt es nach Ansicht des Lehrers nur eine Grundvoraussetzung:
,,Man muß sich trauen, auf die Bühne zu gehen und vor Publikum zu agieren.'
Diese Fähigkeit haben seit Gründung der ,,theater-ig" im übrigen mehr
Mädchen als Jungen unter Beweis gestellt. In diesem Jahr freilich ist
endlich auch das ,starke Geschlecht" wieder in ausreichender Zahl vertreten,
und so ist es kein Problem, die Rollen in William Congreves Stück "Liebe
für Liebe", mit dem die jungen Schauspieler im Juni auftreten werden,
dem Geschlecht entsprechend zu besetzen.
Generell sind Nachwuchssorgen
in der "theater-ig" unbekannt. Und dies trotz der klaren Vorgabe,
daß nur Schüler, die tatsächlich noch die Dreieichschule besuchen -
in der Regel geht es um Zehnt- bis Dreizehntklässler dem Ensemble angehören
dürfen. "Ehemalige dürfen nicht mehr spielen, - da wir keine Schauspiel-Elite
heranziehen wollen", erläutert Sturmfels, der jährlich mit 15 bis 30
Hobby-Schauspielern arbeitet. Gleichwohl haben einige Akteure den Sprung
von kleinen Langener Anfängen in die Welt der ,großen Unterhaltung"
geschafft. Dazu zählen unter anderem Peer Abilgaard, der mittlerweile
als Opernsänger tätig ist, die Schauspielerin Sylvia Hofrock und Thommie
Baake, der als Kabarettist nicht nur bei seinen Gastspielen in Langen
Erfolge feiern konnte.
Kulturförderpreis
Doch nicht allein diese herausragenden Cracks waren dafür verantwortlich,
daß die "theater-ig" 1991 der erste Preisträger des Kulturförderpreises
der Stadt Langen wurde. Vielmehr würdigten die Verantwortlichen damit
die kontinuierliche Bereicherung der kulturellen Landschaft der Sterzbachstadt.
Vor diesem Hintergrund und der Tatsache, daß viele weitere frühere Mitglieder
der "theater-ig" nach wie vor bei Amateurgruppen aktiv sind, hofft nicht
allein Sturmfels, daß die Stadt den schauspielernden Gymnasiasten auch
zukünftig gewogen ist und letztere dementsprechend die Stadthalle nach
wie vor kostenlos nutzen können. In diesem Fall wäre nämlich garantiert,
daß der braune Anzug noch lange zum Inventar der ,,theater-ig" gehört....
Harald Sapper |