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New York, 7-6-1944
Als ich heute hoch
lief, um Naomi zu besuchen, schien sie wie ein anderer Mensch. Sie war
neugierig und lernbegierig. Wir sangen ausgelassen Lieder, lachten und
ließen Yvette und Charlie tanzen. In dem Moment ist mir klar geworden,
dass sich hinter Naomis äußerer Ängstlichkeit und Schreckhaftigkeit
ein sehr intelligentes Mädchen verbirgt, doch es ist schwer , ihr
Vertrauen zu gewinnen. Von Treffen zu Treffen merke ich mehr, wie ähnlich
wir uns sind. Es macht mir Spaß mit ihr zu spielen und in ihr lächelndes
Gesicht zu schauen. In Naomis Gegenwart kann ich ganz natürlich sein,
nicht wie bei Shaun. Ich habe Naomi gern, sehr gern. Es macht mir nichts
aus, dass sie ein Mädchen ist. Doch ich habe viele Fragen. Warum saß
sie zwei Wochen nur da und zerriss Papier in winzige Schnipsel? Was steckt
dahinter, dass sie so bedrückt und zerstreut war? Welches Ereignis
kann dazu führen, eine gesunde Menschenseele so zu verstören
und den letzten Funken Selbstbewusstsein und Hoffnung auszulöschen?
Es war richtig von mir, ihr zu helfen und ihr leeres Leben neu aufzubauen,
was nicht bedeutet, dass ich es inzwischen nicht freiwillig tue. Ich bin,
wie gesagt, sehr gern mit ihr zusammen. Und in einem bin ich mir sicher:
Naomi ist nicht verrückt, sie ist eine Persönlichkeit.
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