Am nächsten
Abend saß Margreth schon seit einer Stunde mit ihrem Rocken vor der
Tür und wartete auf ihren Knaben. Es war die erste Nacht, die sie
zugebracht hatte, ohne den Atem ihres Kindes neben sich zu hören, und
Friedrich kam immer noch nicht. Sie war ärgerlich und ängstlich
und wußte, daß sie beides ohne Grund war. Die Uhr im Turm schlug
sieben, das Vieh kehrte heim, er war noch immer nicht da, und sie mußte
aufstehen, um nach den Kühen zu schauen. Als sie wieder in die dunkle
Küche trat, stand Friedrich am Herde; er hatte sich vorübergebeugt
und wärmte seine Hände an den Kohlen. Der Schein spielte auf seinen
Zügen und gab ihnen ein widriges Ansehen von Magerkeit und ängstlichem
Zucken. Margreth blieb in der Tennentür stehen, so seltsam verändert
kam ihr das Kind vor.
"Friedrich, wie geht es dem Ohm?" Der Knabe murmelte einige unverständliche
Worte und drängte sich dicht an die Feuermauer. - "Friedrich, hast
du das Reden verlernt? Junge, tu das Maul auf! Du weißt ja doch, daß
ich auf dem rechten Ohr nicht gut höre." - Das Kind erhob seine Stimme
und geriet dermaßen ins Stammeln, daß Margreth es um nichts
mehr begriff. - "Was sagst du? Ein Gruß von Meister Semmler? Wieder
fort? Wohin? Die Kühe sind schon zu Hause. Verfluchter Junge, ich kann
dich nicht verstehen. Wart, ich muß einmal sehen ob du keine Zunge im
Munde hast!" - Sie trat heftig einige Schritte vor. Das Kind sah zu ihr auf
mit dem Jammerblick eines armen, halbwüchsigen Hundes, der Schildwacht
stehen lernt, und begann in der Angst mit den Füßen zu stampfen
und den Rücken an der Feuermauer zu reiben.
Margreth stand still; ihre Blicke wurden ängstlich. Der Knabe erschien
ihr wie zusammengeschrumpft, auch seine Kleider waren nicht dieselben,
nein, das war ihr Kind nicht und dennoch - . "Friedrich, Friedrich!" rief
sie. In der Schlafkammer klappte eine Schranktür, und der Gerufene
trat hervor, in der einen Hand eine sogenannte Holschenvioline, das heißt
einen alten Holzschuh, mit drei bis vier zerschabten Geigensaiten überspannt,
in der anderen einen Bogen, ganz des Instrumentes würdig. So ging er
gerade auf sein verkümmertes Spiegelbild zu, seinerseits mit einer
Haltung bewußter Würde und Selbständigkeit, die in diesem
Augenblicke den Unterschied zwischen beiden sonst merkwürdig ähnlichen
Knaben stark hervortreten ließ.
"Da, Johannes!"
sagte er und reichte ihm mit einer Gönnermiene das Kunstwerk, "da ist
die Violine, die ich dir versprochen habe. Mein Spielen ist vorbei, ich
muß jetzt Geld verdienen." - Johannes warf noch einmal einen scheuen
Blick auf Margreth, streckte dann langsam seine Hand aus, bis er das Dargebotene
fest ergriffen hatte, und brachte es wie verstohlen unter die Flügel
seines armseligen Jäckchens.
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